Glaube ist Vertrauenssache

Wir werden es in unseren Cafés immer wieder mit Gästen zu tun haben, die uns und denen wir zunächst fremd sind. Sie sind vielleicht neugierig oder sogar überrascht, dass sie plötzlich in einer christlichen Kneipe sitzen. Sie sind nicht vertraut mit unseren Gepflogenheiten, unserer Sprache (die der Kabarettist und Pfarrer Fabian Vogt treffend "kirchisch" nennt), unseren Ansichten. Es ist notwendig, dass eine Vertrauensbasis entsteht, damit aus Fremden Freunde werden können. Jedoch müssen sich die Mitarbeitenden im Café oder der Kneipe das Vertrauen der Gäste erst erwerben. Gleiches gilt natürlich auch für die Gemeinde. Dieses Vertrauen bereitet den Boden, auf dem nachhaltige Glaubenserfahrungen wachsen können. "Wir wollen das Recht erwerben, von unseren Gästen gehört zu werden" - dieser Grundsatz der christlichen Schülerarbeit "Young Life" aus den USA trifft auch auf die Caféarbeit zu. Der Aufbau von Beziehungen durch informelle Kommunikation ist das Herz der Arbeit in christlichen Cafés. Diese Grundhaltung müssen alle Mitarbeitenden "inhaliert" haben.

Beziehungen: Der Schlüssel zum Herzen eines Menschen

Wenn wir Beziehungen aufbauen wollen, dann müssen wir uns einlassen auf die mitunter langen Wege, bis Vertrauen gewachsen ist. Das passiert i.d.R. nicht von heute auf morgen. Ein vierstufiges Phasenmodell, das "Young Life" zugrunde liegt, beschreibt, wie Beziehungen wachsen. Dieses Modell wird häufig in der offenen Jugendarbeit verwendet, kann aber auch für Mitarbeitende in christlichen Cafés und Kneipen eine Hilfe zur Wahrnehmung der Situation sein. Natürlich kann ein solches Modell nur ein Gerüst darstellen, weil zwischenmenschliche Beziehungen immer sehr vielschichtigen und dynamischen Prozessen unterliegen.

Für jedes Caféteam ist von eminenter Bedeutung, sich darüber zu verständigen, wie es Beziehungen gestalten und pflegen will. Dieser Prozess sollte immer am Anfang einer Caféarbeit stehen und sich bestenfalls auch in einer schriftlichen Konzeption ausdrücken. Beziehungsarbeit bildet soz. das Fundament in der Evangelisation. Weil sich im Alltag manche schlechten Verhaltensweisen einschleichen und auch immer wieder neue Mitarbeitende hinzukommen, empfiehlt es sich, sich selbst in regelmäßigen Abständen durch die Konzeption korrigieren zu lassen.

Das Modell, wie Beziehungen wachsen

Die vier Phasen sind wie folgt:

  • Stufe 1: Nonverbale Kommunikation
  • Stufe 2: Small Talk
  • Stufe 3: Vertrauen erwerben
  • Stufe 4: Sich anvertrauen

Informationen zu diesem Modell im konkreten Bezug auf die Café-Arbeit sind hier zum Download bereitgestellt.

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Für Mitarbeitende im Café ist auch die Kenntnis der Distanzzonen wichtig:

  • Gesellschaftliche Zone (1 bis 2 Meter): Schreibtisch, Theke
  • Persönliche Zone (0.5 bis 1 Meter): Begrüßungen, Verabschiedungen
  • Intime Zone (unter 0.5 Meter): vorbehalten für gute Freunde und Familienmitglieder

Eine Gemeinde wird für Menschen von außen zur Heimat durch vertrauensvolle Beziehungen. Vertrauen stiftet ein Gefühl der Sicherheit. Häufig sind Menschen dann von allein bereit, ihre Fragen bezüglich des Glaubens zu äußern. Christ werden ist immer ein Prozess. Die Studie "Finding Faith Today", die Mitte der Neunziger Jahre in England entstand, hat hervorgebracht, dass dieser Prozess i.d.R. annähernd vier Jahre beansprucht. Nicht nur deshalb ist Vorsicht geboten vor übereilten Schritten.

Umdenken: Von der Programmorientierung zur Beziehungsarbeit

Seit etwa dem Beginn der 1990er Jahre vollzieht sich in der kirchlichen Arbeit ein Wandel von der programm- zur beziehungsorientierten Arbeit. Wo man diese Entwicklung bewusst wahrnimmt und gestaltet, können auch einmalige Begegnungen im Café einen verbindlichen (und damit im wahrsten Sinne des Wortes glaubwürdigen) Charakter bekommen und im Hinblick auf die Gottesbeziehung prägend sein. Es kann allerdings nicht darum gehen, programm- und beziehungsorientierte Ansätze gegeneinander auszuspielen. Vielmehr geht es darum, dass sich beide sinnvoll ergänzen müssen. Klaus Douglass bringt es auf folgende Formel: "Menschen kommen in die Kirche, um eine interessante Veranstaltung oder ein Projekt zu besuchen. Sie bleiben aber nur dann, wenn sie dort herzliche und liebevolle Beziehungen finden, in denen sie sich geborgen fühlen". Gleiches gilt sicher auch für die christlichen Cafés.

Die Bedeutung und der Wert von Beziehungen für das Zusammenleben in der Gemeinde und in der Weitergabe des Glaubens ist in den vergangenen Jahren durch viele Studien und Veröffentlichungen eindrücklich belegt worden (Mark Mittelberg, John Finney, Thomas Popp u.a.). Wertvolle Beziehungen können sowohl in der Gemeinde- oder Jugendgruppenarbeit als auch in der offenen Arbeit, wie sie in christlichen Café geschieht, entstehen. Dennoch ist es für Mitarbeitende in der Caféarbeit wichtig, sich die Unterschiede zur "normalen" Gemeindearbeit vor Augen zu führen. Denn die offene, unverbindliche Atmosphäre eines Cafés unterscheidet sich von der Gemeindearbeit erheblich und ist Chance und Grenze zugleich.

Kennzeichen von Gemeinde- und Jugendgruppenarbeit:

  • Sozialform: Fast durchweg Gruppenarbeit
  • Im Vordergrund stehen Gemeinschaftserlebnisse, durch die Beziehungen wachsen. Begegnung wird mittels Programm inszeniert.
  • Häufig klar vereinbarte Programmzeiten
  • Ein weitgehend fester Kern von Teilnehmenden
  • Mitarbeitende genießen häufig eine Vertrauensbasis und die Vorteile einer klar definierten Rolle
  • Mitarbeitende können Beziehungs- und Lernprozesse lenken
  • Ungeschriebene Spielregeln, die Dynamik der Gruppe, eine gemeinsame "Kultsprache" etc. sorgen für Identität und ein Klima der Intimität - häufig mit dem Nachteil, dass die Gruppe nur bedingt offen ist für Hinzukommende

Wenn Mitarbeitende aus der Jugend- oder Gemeindearbeit also in die Mitarbeit im Café wechseln, dann tauschen sie damit deutlicher strukturierte Arbeitsformen mit festen Gruppen gegen flexiblere Erlebnisräume mit individuellen Gästen ein.

Kennzeichen christlicher Café-Arbeit:

  • Offene Situation
  • Begegnungen ergeben sich eher zufällig. Leute kommen und gehen, wann sie wollen.
  • Die Atmosphäre hat einen deutlicher informellen, ungezwungenen und nicht vereinnahmenden Charakter.
  • Hier steht weniger ein Programm, sondern die Kommunikation von Mensch zu Mensch im Vordergrund.
  • Mitarbeitende müssen stärker als Person einfach präsent sein und haben weniger Steuerungsinstrumente.
  • Sie müssen flexibel auf Situationen und Themen reagieren können.

In der Caféarbeit (wie z.B. auch in der offenen Jugendarbeit) brauchen wir daher einen bestimmten Typus von Mitarbeitenden, der in der Lage ist, sich auch in weniger vorgegebenem Rahmen sicher zu bewegen. Das Café ist der ideale Platz für Mitarbeitende, die die Fähigkeit mitbringen, zu Gästen Beziehungen aufzubauen. Voraussetzung dafür ist echtes Interesse an fremden Menschen und Freude daran, sie kennen zu lernen.